Eine Reflexion in Wort und Bild
Nicht entgrenzt, sondern
Nicht ausufernd, sondern
Nicht grenzenlos, sondern reduziert, sondern
Zurückgezogen. Taub. Losgelöst. Fort. Vergangen. Tot.
Ich wünsche mir nichts.

80 Seiten, 67 meist farbige Abbildungen, Hardcover.
Inkl. DVD mit einer audio-visuellen Lesung des gesamten Buchs.
ISBN 978-3-200-00607-2
Was schreibt man, wenn alles gesagt scheint
Vom Sterben – das sind sich wiederholende und gleichzeitig variierte Szenen einer entgleitenden Vergangenheit, das ist die Erinnerung einer Person an eine andere und der Versuch diese festzuhalten, aber auch Reflexion über Erzählen, Erinnern und Vergessen, das sind sie und er, das ist Körper, Atmen, Schmecken, Nacktheit, Berühren, Nähe, Verletzung, Angst und Tod, das ist Gegenentwurf zu Europa, das Kreisen um das Unsagbare und Entbergen der Unmöglichkeit einer authentischen Repräsentation. [aus dem Vorwort von Teresa Staudacher]
Sie spricht zu mir, in diesem Augenblick.
Sie ist bei mir, zu jeder Stunde.
Sie fehlt? Nein: sie fehlte.
Sie fehlt nicht.
Vom Sterben ist eine Reflexion in Wort und Bild über die Erinnerung an eine und die Trennung von einer geliebten Person.
Der Erzähler versucht die Frau, die er verloren hat, ihre Worte, ihren Geschmack, ihre Präsenz zu bewahren, mehr noch: wieder zu erwecken und wiederzuerlangen, indem er von ihr schreibt. Er zeichnet auf: Blicke, Gesten, Begegnungen, die gemeinsame Sprache, das Ausufern aufeinander, den Widerstand gegenüber den als Zwang empfundenen gesellschaftlichen Verhältnissen, Erinnertes ebenso wie Fiktionales, er korrigiert und variiert, verfremdet und verwirft, schreibt neu und so fort.
Das Vorhaben wird scheitern und er wird am Ende erkennen, dass jedes Schreiben über sie ausschließlich eines über ihn selbst ist. Der Erzähler, auf sich selbst zurückgeworfen, ist es, der sich verliert, da der Andere, in dessen Bild er sich finden könnte, fehlt.
Vom Sterben versucht verschiedene philosophische Ansätze und Methoden in literarische Praxis und metaliterarische Überlegungen umzusetzen. So etwa die Dialektik, derer sich Theodor W. Adorno bediente: das Verlorene – sie – findet sich in der Schwebe zwischen einer Vielzahl an Text- und Bildebenen, die einander vorwegnehmen, widersprechen oder verstärken; in Aussagen, die nicht literarisch festgeschrieben werden können, die sich vielmehr erst während des (Quer- und Wieder-)lesens entfalten, die sich jedoch jeder Versprachlichung entziehen und dem Leser somit augenblicklich entgleiten.
Kostproben
Ihr fester Griff, ihre festen Nägel. Ihre leisen, unwillkürlichen Bewegungen.
Sie lächelte nicht, vielleicht lächelte sie. Der Tag hatte eben begonnen.
Sie verschwand, langsam und unbemerkt.
Vom Sterben, 1. Kapitel (PDF; 168 KB)
Vorwort von Teresa Staudacher
Einblick
Vom Sterben – das sind sich wiederholende und gleichzeitig variierte Szenen einer entgleitenden Vergangenheit, das ist die Erinnerung einer Person an eine andere und der Versuch diese festzuhalten, aber auch Reflexion über Erzählen, Erinnern und Vergessen, das sind sie und er, das ist Körper, Atmen, Schmecken, Nacktheit, Berühren, Nähe, Verletzung, Angst und Tod, das ist Gegenentwurf zu Europa, das ist Kreisen um das Unsagbare und Entbergen der Unmöglichkeit einer authentischen Repräsentation.
Kristallisierungsversuche
Vom Sterben – das sind Retrospektiven inter artes, entstanden in der Kooperation von Gerhard Moser und Scott Batty: Einerseits ergänzen und bereichern sich der Text/die Textsplitter des Schriftstellers und die Arbeiten des bildenden Künstlers und bedingen in ihrer Kombination die Erweiterung des Assoziationsfeldes, andererseits veranschaulichen die Bilder und Collagen die metaliterarischen Reflexionen über die Unmöglichkeit einer authentischen Darstellung, hier: der Frau – sie, die im Mittelpunkt des Textes steht (aber: Das Schreiben von ihr ist letztlich ausschließlich Schreiben über mich.), erscheint nur fragmentiert und zersplittert, als Skizze und Spur.
Ihre Unfassbarkeit und der Versuch, dennoch etwas von ihr zu bewahren, mündet in eine subjektive Annäherung an den Anderen, die nie als ein allgemeines Erfassen präsentiert wird und die nur in einem Dazwischen, in der Schwebe stattfinden kann. Doch bleibt auch die quälende Infragestellung des eigenen Vorhabens bestehen, wobei das Abzielen auf die Schaffung eines realistischen Porträts deutlich in Abrede gestellt und vielmehr die Irrelevanz realistischer, wahrheitsgetreuer Beschreibung betont wird, was sich im Versuch niederschlägt, seine Empfindung, sein Bild von ihr und ihre Bedeutung für ihn zu schreiben (das Wahre, das nur als Empfundenes wahr ist).
Vom Sterben – das ist das Erkennen der und Leiden an der Allgegenwart ‚Europas‘ – ‚Europa‘ das ist der quälende Alltag, die Gesellschaft, die populäre Kultur und Industrie, die Massenproduktion und der Kapitalismus, die Ware und der Markt und die Vereinnahmung durch sie und letztlich die konventionelle Literatur mit ihren Gattungskonventionen und Phrasen.
Vom Sterben – das sind ‚sie‘ und ‚er‘ – sie ist Kraft, Aggressivität, Trauer ohne Hoffnung, Lebendigkeit und Leidenschaft, sie ist Zuflucht, außerhalb des Diskurses, fernab von Europa –, aber auch ein ‚Ich‘, ein ‚Du‘ (es wechseln die Erzählperspektiven und es gibt Sprünge in der erzählten Zeit) und dann doch: ein ‚Wir‘, ein ‚Uns‘, ein Durchdringen voneinander in Abgrenzung zu und als Gegenentwurf zu ‚Europa‘, als gegenseitige Heilung von ‚Europa‘.
Vom Sterben – das ist der Entwurf und das Schaffen einer Nicht-Literatur, eines anderen Erzählens im Dazwischen in Reaktion auf die Erkenntnis der Nicht-Repräsentierbarkeit und die Vereinnahmung durch ‚Europa‘:
Aber keine Emigration nach innen, nein. Denn es gilt: Die Zunge, die lingua non grata, für dieses verzweifelte Dagegen und dieses revolutionäre Stattdessen zu finden, die Worte zu den Begriffen zu führen, die modischen zu den schändlichen, die warmen zu den heilenden, Europas Schema zu benennen ohne es beim Namen zu nennen, die Formel nicht zu lösen – sie zu zertrümmern.
Vom Sterben – das ist ein Werk von immenser Dichte und Komplexität, wobei dies noch verstärkt wird durch die Text- und Bildfragmente am Seitenrand, die die Assoziationen und Sinnebenen quasi multiplizieren und gleichzeitig scheinbar erfassten Sinn in Frage stellen.
Daneben stößt der Leser, wie auch in dem immer wieder verworfenen und doch wieder erneuerten Versuch, das Unsagbare sagbar zu machen, auf weitere Ambivalenzen und Widersprüche, die der Autor nicht nur zulässt, sondern auf denen er insistiert. Teils sind es allerdings auch bloß einzelne Sätze, die den vom Leser gestifteten Sinn in einer vexierbildartigen Erfahrung aufheben (Nicht sie ist es, die verloren ging.).
Was ist das Sterben?
‚Sterben‘ ist das Annehmen des Bruchs, der endgültige Austritt, das Hervortreten des Individuellen, die Befreiung von den Sehnsüchten und Wünschen, ‚Sterben‘ das ist Loslassen, Verschwinden, Sich-Entfernen, Entgleiten und schließlich: Ruhen.