BUG/HARDCORE

Skizzen vom Aufbegehren und vom Scheitern

BUG/HARDCORE: Skizzen vom Aufbegehren und vom Scheitern

36 Seiten, vollfarbig, geheftet.
Inkl. CD mit fünf Liedern, fünf Kurzfilmen und fünf Rezitationen.
ISBN 978-3-200-00685-0

Eine Mauer aus Lärm und Geschrei
5 Lieder, 5 Lesungen, 5 Filme

Diese „Skizzen vom Aufbegehren und vom Scheitern“ sind ein multimediales Gesamtwerk aus Literatur, Musik und Film.
Sie sind …
LITERATUR, wenn M. Foullands defätistische Lyrik mit M. Dolps kehligen Verwünschungen ringt, …
… sie sind MUSIK, wenn die Slowcore-Kombo BUG ihre Klanggebilde dem weißem Rauschen der ziel- und würdelosen menschlichen Existenz entreißt, …
… endlich sind sie FILM, wenn M. Gíslason den Protagonisten des Werks als seelisch und körperlich angeschlagene Geisel eines unauslöschbaren Wahns in ihren bewegten Bildern konstruiert.

Atme tief ein.
Ein Lächeln macht nichts besser.
Einatmen. Ausatmen.
Ich sitze auf meinen Handflächen, damit ich dich nicht schlagen kann.

Im März 2006 erbricht der seelisch schwer beeinträchtigte M. Foulland in einer einzigen Nacht unter dem Einfluss der Slowcore-Fundamentalisten BUG 15 Textfetzen in eine Originalausgabe von Edmund Reitters „Die Käfer des deutschen Reiches“.

M. Foulland war bis zu seiner Begegnung mit Pacôme Thiellement, einem Gentlemen Invisible der Bewegung SPECTRE, 2004 (siehe „Denkwürdigkeiten eines Nervengesunden“) der spirituelle Führer der éditions foulland, „einem freien Raum für unfreie Menschen“.

BUG sind die Herren Altmayer, Deutinger, Dolp und Hofer. Ihre Agenda ist unbekannt, ihre Mittel sind Bass, Gitarre, Schlagzeug, Kehle, sind Hammer gegen Amboss, sind Paranoia gepaart mit Paralyse, sind eine Wall of Noise: geräuschvoll und lyrisch. Fünf der Musik- bzw. Textstücke, die M. Foulland als Dissoziativum dienten, erspielten sich BUG, in einer Rückkoppelung/Gegentransferenz ihrerseits beeinflusst, neu: dilemma, she just said yes, whale, total paranoia is total awareness und rodeo.

Edmund Reitter, geboren 1845, gestorben 1920, Entomologe und Schrifsteller. Zwischen 1908 und 1916 veröffentlichte er die fünf Bände seines Werks Fauna Germanica – Die Käfer des deutschen Reiches, die erste systematische Darstellung der bekannten Coleoptera.

Marlene Gíslason transkribierte und rekonstruierte die von M. Foulland hinterlassenen Fragmente und stellt sie dem Werk von BUG, ihrer Lyrik und ihrer Musik, unkommentiert gegenüber: linker Hand der Wahn von M. Foulland, rechter Hand der von M. Dolp.

Die von Gíslason produzierten Kurzfilme de anima: I–V dokumentieren an den genannten fünf Stücken exemplarisch den Prozess der Ausscheidung und -schüttung des Unbewussten und Wahnhaften Foullands, die den Weg ins „Freie, Grenzenlose, Ungewisse“ weisen.

Kostproben

kein Wort für euch, kein Wort an euch
keinen Zentimeter für euren hinkenden Schritt
euer schleppendes Gemüt
eure erschöpften und lächerlichen Versuche
irren und irren und irren, bloß irren, irren und irren

die ersten Seiten als Kostprobe (PDF; 384 KB)

Dilemma
She Just Said Yes
Whale
Rodeo
Total Paranoia is Total Awareness
de anima IV
de anima V

Rezensionen

Daniel Furxer

Hardcore – das trifft die Sache gut. Monsieur Foulland führt den werten Leser, die werte Hörerin mit diesem Machwerk tief in den Kaninchenbau hinab. Die Kombination aus Geschriebenem, Musik und Videoclip lässt einen verstört zurück. This is hardcore, baby!

What the hell? Als Germanist sucht man nach der Textaussage, die sich aber nicht einfach erschließt. Am ehesten noch bei den ins Deutsche übersetzten Lyrics der Innsbrucker Slowcoreband BUG. Die politischen Statements sind hier glasklar formuliert und auch eine gewisse „lonely cowboy attitude“ kommt einem vertraut vor. Was als Text noch recht unspektakulär daherkommt, entfaltet sich jedoch in der langsam von hinten wie durch einen Traktor angeschobenen Musik von BUG zu voller Pracht. Der Traktor BUG sitzt auf schwerem Metall auf, hier wird herausgeschrieen, was herausgeschrieen gehört. Die schwer dahinschleppenden Gitarren setzen sich in Mark und Bein fest.

Die Texte von M. Foulland muten dagegen kryptisch an. Die unmittelbare Wiederaufnahme einiger Wörter aus den Songtexten lässt nicht den Schluss zu, dass hier über das gleiche philosophiert wird. Mitnichten. Einzelne Fragmente der Lyrics werden aufgegriffen, aber in einen völlig neuen Kontext gestellt. Zerstörung, psychische Abhängigkeit, Krankheit, Machtmissbrauch. Wer M. Foulland kennt, weiß, dass es ums Eingemachte, um die menschlichen Abgründe geht. Einen Blick in die Videos „de anima I–V“ bestätigen dieses Bild. In schwarzweiß gehalten und in einem leeren Zimmer stehend, sitzend, kniend, verleiht M. Foulland seinen Texten eine zusätzliche surreale Ebene.

Herr Edmund Reitter (1845–1920) liefert die Bebilderung des überdimensionalen Bocklets mit seinen Käfern aus dem deutschen Reich. Die deutschen Käfer passen gut ins morbide Ambiente. Dieses Machtwerk, erbrochen auf die Käferstudien in einer einzigen Nacht, lässt einen nicht mehr so schnell los. Den Liebesroman, wenn man es nicht schon vorher getan hat, kann man getrost für ein paar Tage auf die Seite legen. Die Skizzen des Aufbegehrens und Scheiterns berühren Welten, die man sich wünscht, nie zu betreten, denen man sich jedoch unweigerlich stellen muss. Früher oder später. Das Grauen steckt eben tief im Unbewussten.

J. M. Baerwald

Wären diese hochliterarischen Skizzen in einen Spielfilm gegossen worden, wäre er von Chabrol; hätte ihn ein Pointillist in seine Farben- und Zeichenwelt verseelt, hieße sein Schöpfer Seurat; würde ihn ein Atonalist transponiert haben, hieße dieser Schönberg. Das ist folgenschwer und so gibt es nur einen gangbaren Weg zum Verständnis für jene so leichtfüßig daherkommenden, gleichwohl schicksalsschwer ausschreitenden „Skizzen vom Aufbegehren und Scheitern“, zumal diese Skizzen eingebettet sind in eine Multimedialität, wie wir sie in der sich in Abstraktionen ersprießenden Fluxuswelt eines Vostells oder der Verschränkung des Dadaismus mit der Wirklichkeit des Entsetzens antreffen.

Wie sieht dieser Weg nun aus? Ebnet er sich von alleine durch rationales Verstehenwollen oder durch irrationales Begreifenkönnen? Nein, die Probabilität, mithin die einzige, die nachhaltig wirkt, bedingt hier zwei Ebenen, die der Leser verinnerlichen muß, um sich einzufinden in einen – liebevoll gemeinten – hermetischen Zirkel von Worten, Klängen und Bildern. Dann wird er empfinden, wie die Tragik des Scheiterns, die Euphorie des mit dem Aufbegehren einhergehenden Radikalismus seelischer Eruptionen, wie ein Hilfeschrei nach Weltsinn, wie ein Beklagen des Non-sinnes, wie all dies sich gleich einer zweiten Haut um den zuhörenden Leser oder den lesender Zuhörer legt, ihn zuerst nur bekleidet, dann bedeckt, um schließlich identitätsverschmelzend in ihn hineinzukriechen. Ihm ergeht es also wie einem, der die Natur betrachtet, von Eichendorff nie etwas hörte, und der doch „nur hinter jenem Hügel dort, wo der Abendschein spielt“ um alles in der Welt hinmöchte und voller Emphase ausruft: „Ach hätt‘ ich, hätt‘ ich Flügel, zu fliegen da hinein!“

Und so ergeht es den Lesern, die nie von Foulland hörten, die „Bugs“ in Verbindung mit Mistkäfern bringen, und denen Deutinger, Dolp, Altmayer und Hofer Namen von Personen sind, die eben nur Personen unter Personen, gleich Schatten vor der untergehenden Sonne, bleiben. Nur ihnen, den unverkrampft Empfindsamen, – andere mögen außen vor bleiben – gilt es, hier Lust aufs Eintauchen in etwas Wunderschönes, schrecklich Schönes, traumhaft Schönes oder einfach nur Sinnenschönes, gleich einer sinfonischen Lautmalerei zu entfachen.

Aber auch das wäre entbehrlich, sogar ganz und gar entbehrlich, läse der begierig gewordene Leser nur jene zwei Sentenzen, in denen alles liegt, was Seele, Verletztheit, Aufgeben und Neubeginn symbolisieren, und verinnerlichte sie, tränke sie wie einen Erlösungstrank. Das ist wahrhaft große Literatur, das ist die große Aussage, wie mit einem Pinselstrich so leicht erscheinend hingehaucht: Ich sitze auf meinen Handflächen, damit ich dich nicht schlagen kann . Und: Lebenslanges Warten auf deine besten Jahre. Damit ist alles gesagt, was zu sagen war.

Es ist jenes organisch gewachsende Erleben, welchem man wehtäte, belegte man es mit dem Terminus experimentelle Literatur. Ist denn die Verletzung der Seele experimentell ausdrückbar? Nein, sie bleibt stets erfahrene Vergangenheit in der gegenwärtigen Zukunft. Und die in sich zu tragen ist unser aller Los. Man kann ihm nicht entkommen. Wohl aber kann der Leser teilhaben als Kommunizierende Röhre – und sich eingestehen, wie sehr er sich doch selbst in diesen Skizzen Foullands begegnet, sich wiederfindet und sein Herz erleichtert. Kurzum: Das ist das Beste, was ihm in dem aus Angst vor Entlarvung seines plakativen Non-sinnes euphemisierten Literaturbetriebes gegenwärtig widerfahren kann!